Amanda Kwan & Ulrich Neininger, Notizen zur Politik, Gesellschaft und Kultur im Grenzgebiet von China, Birma und Laos (5).
Nach Hause zu kommen, das ist die Sehnsucht vieler umherirrender Heldenseelen. 时代周报 ( Wochenzeitung Das Zeitalter) vom 25. Jan. 2013.
Zu den immer wieder beschworenen Gründungsmythen der Volksrepublik China gehört der Krieg gegen die Japaner. Der entscheidende Anteil der Kuomintang-Truppen im Kampf gegen die Invasoren blieb dabei lange verschwiegen. Unbeachtet blieb dann auch der Kampf der Kuomintang in Birma an der Seite der Amerikaner und Engländer. Chinesische Händler, die in den achtziger Jahren, nach einer langen Unterbrechung der Handelsbeziehungen, wieder in die Nachbarländer reisten, berichteten aus Birma von Kriegsgräbern, an die sich in China niemand mehr zu erinnern schien.
Die Japaner waren im Frühjahr 1942 in Birma einmarschiert. Sie eroberten Rangun und standen kurz danach schon vor den Ölfeldern von Yenangyaung, wo sie siebentausend Soldaten der Kolonialmacht einkesselten.1 Den Eingeschlossenen gelang der Ausbruch erst, nachdem ihnen der Kuomintang-General Sun Liren mit seinen Truppen zu Hilfe kam. Die Japaner aber rückten weiter nach Norden bis nach Myitkyina im Kachin-Staat vor. Damit war die Kuomintang, die von Südwestchina aus den Krieg gegen die japanische Besatzung führte, vom Nachschub über Land abgeschnitten. Das amerikanische Rüstungsmaterial, das die Chinesen dringend brauchten, musste nun über eine Luftbrücke vom indischen Assam nach Kunming in Yünnan transportiert werden.
Der von Chiang Kaishek ernannte Generalstabschef der Kuomintang-Armee, der Amerikaner Joseph Stilwell, zog im Frühjahr 1944 chinesische und amerikanische Einheiten zur Rückeroberung von Myitkyina zusammen. Eigentlich waren seine Truppen dafür zu schwach, aber Stilwell, der die Briten hasste und ihren Oberbefehlshaber in Birma, Louis Mountbatten, als „einfältigen Arsch“ verachtete2, wollte von den „Limies“ keine Verstärkung anfordern, zumal er ihnen nachtrug, dass sie ihn in Birma formal Mountbattens Kommando unterstellt hatten.3
Die Berichte der „Newsboys“ von Readers Digest und Time hatten den eigenwilligen General in den USA populär gemacht. So war seine Ankündigung der Kampf um Myitkyina solle einen „American flavor“ erhalten4, gewiss auch von dem Wunsch getragen, den vielen Bewunderern daheim eine Freude zu bereiten. („Great stuff for the newsboys.“)5 Die als Merrill’s Marauders bekannt gewordenen amerikanischen Truppen, die schon auf dem Weg durch feindliches Gebiet schwere Verluste erlitten hatten, wurden bei der dreimonatigen Belagerung von Myitkyina fast völlig aufgerieben. Die Masse der gefallenen Belagerer bestand indes aus Chinesen. Die Japaner räumten schließlich ihre Stellung, ihr General beging Selbstmord, und seine Soldaten durchbrachen den Belagerungsring und zogen sich weiter nach Süden zurück.
Im kommunistischen China waren diese Ereignisse unbekannt geblieben, bis die neu erwachten Nationalisten sich an die gefallenen Landsleute zu erinnern begannen. Die Kuomintang in Taiwan war mittlerweile eine von Peking hofierte Kraft, und das einst sinophobe birmanische Militär war nun der Regierung in Peking, die so viel Verständnis für die Generäle zeigte, freundschaftlich verbunden.
II.
Im November 2015 bewegte sich eine lange Fahrzeugkolonne der in Shenzhen residierenden patriotischen Longyue Wohltätigkeitsstiftung6 auf Myitkyina zu. Die Stiftung beabsichtigte, die sterblichen Überreste von vorerst 347 chinesischen Soldaten in sechs Reisebussen nach Yünnan heimzuholen. Im Kreis Shidian sollte dann ein Empfangskomitee die Heldenseelen mit Salutschüssen und brennenden Kerzen begrüßen.7
Die Knochen der Soldaten wurden im Haus der Yünnaner Landsmannschaft gelagert. Dahin waren sie auf ungewöhnliche Weise geraten: In den fünfziger und sechziger Jahren hatte die birmanische Armee die chinesischen Kriegsgräber einebnen lassen.8 Als 1963 die Bagger die Grabstätten der 40. und 50. Kuomintang-Division in Myitkyina zerstörten, sammelten ortsansässige Chinesen des Nachts die überall verstreuten Knochen ein, begruben sie an anderer Stelle oder verwahrten sie in Verstecken.9
Der Glaube, dass Tote ohne ordentliches Grab keine Ruhe finden, ist in der chinesischen Tradition tief verwurzelt. Dass die ruhelosen Toten von Myitkyina im Kampf gegen die Japaner gefallen sind, bereitet den chinesischen Nationalisten zusätzlichen Kummer. Die Seelen der Gefallenen jagen des Nachts in wilden Scharen über das Schlachtfeld. Ein ganzer Trupp von ihnen, so schilderte es ein einheimischer buddhistischer Mönch, sei einmal laut klagend auf ihn zu gerannt, um sich zu beschweren, dass die Nachwelt die Gefallenen völlig vergessen habe. Als ein Repräsentant der patriotischen Stiftung von diesen Klagen erfuhr, bat er den Mönch, den Toten auszurichten: „Wir haben euch nicht vergessen, wir werden kommen, um euch nach Hause zu bringen.“10
Bei ihrer Ankunft in Myitkyina erlebte die patriotische Abordnung indes eine Enttäuschung. Die Landsmannschaft, die Verwalterin der Knochen, hatte den Zugang zu ihrem Versammlungshaus versperrt und wollte sich keineswegs von den Toten trennen. Myitkyina, wo einige Tausend Chinesen wohnen, war zur Kaiserzeit ein Zufluchtsort für die Mitglieder von Geheimgesellschaften gewesen.11 Im Bezirk siedelten sich auch schon sehr früh chinesische Händler und landlose Bauern an. Die meisten chinesischen Einwohner kommen aber aus Familien ehemaliger Kuomintang-Soldaten.
Die Landsmannschaft schickte die Kolonne unverrichteter Dinge zurück nach China und gab eine Presseerklärung heraus, in der sie die mangelnde Legitimität der Stiftung, ihre undurchsichtigen Entscheidungen und die kostspielige Geltungssucht ihrer Träger rügte. Es solle hier sehr viel Geld für die Umbettung von Toten ausgegeben werden, deren Nachfahren das Geld viel dringender brauchen könnten. Kritisiert wurde insbesondere das großspurige Gehabe der Stiftung. Die riesige Wagenkolonne erwecke den Eindruck „man würde der staatlichen Souveränität Birmas nicht genug Beachtung schenken.“12 Im Übrigen wies die Landsmannschaft darauf hin, dass sie ein eigenes Grabmal plane, und die Knochen dafür brauche.
Eigentlich sei es doch, hieß es nun in der Presse, Aufgabe der chinesischen Regierung, sich um die Gefallenen zu kümmern. Umso mehr weil es hier gilt, sich an den Japanern zu messen. Zu den wenigen chinesischen Gefallenen, die eine würdige Ruhestätte gefunden haben, gehörten die Taiwaner, die von der japanischen Besatzungsmacht eingezogen, für Japan gestorben waren. Die Japaner haben sogar ihren Militärpferden ein Monument errichtet. Ein in der Nähe von Mandalay aufgestellter Gedenkstein nennt die Namen von 763 auf dem Feld der Ehre gefallenen Rössern.13
III.
Der Eifer der Patrioten bringt die Regierung in Peking in eine schwierige Lage. Die Engländer und Amerikaner hatten in Birma den westlichen Imperialismus gegen die Japaner verteidigt, und die Chinesen hatten sie dabei unterstützt. Auch hatten sich unter der Fahne der Kuomintang nicht nur reine, edle Freiheitskämpfer versammelt. Beim ihrem Abzug waren die chinesischen Soldaten als Plünderer derart gefürchtet, dass die Bauern entlang der Rückzugsroute die Dörfer räumten und sich mit ihren Habseligkeiten und ihren Haustieren in die Wälder flüchteten.14
Für die Birmanen gibt es also keine chinesischen Helden zu feiern. Pompöse Zeremonien und die Errichtung von großartigen Denkmälern sind da nicht erwünscht und könnten, wie es die Landsmannschaft angedeutet hat, als Missachtung der birmanischen Souveränität verstanden werden.
Die Regierung in Peking weiß um diese Empfindlichkeiten und hat ihren Botschafter in Birma erklären lassen: „Wir billigen nicht, dass irgendwelche Personen oder Organisation über die sterbliche Überreste der chinesischen Soldaten im Birma verfügen.“ Die Stiftung gab sich nun kleinlaut und bekannte, sie habe „die Risiken falsch eingeschätzt.“15 Die Heimholung der Seelen ist also bis auf weiteres verschoben. Die nun bereits in mehreren patriotischen Vereinigungen zusammengeschlossen Protektoren der Heldenseelen werden freilich weiter die chinesische mit der japanischen Kriegsgräberfürsorge vergleichen und enttäuschte alte Kämpfer zitieren, wie jenen Kriegsveteranen, der auf dem Sterbebett sprach: „Im Zweiten Weltkrieg waren die Chinesen in Birma die Sieger, aber nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Japaner die Sieger.“16
Berlin, im April 2016 © 2015 Amanda Kwan & Ulrich Neininger (u.neininger@hotmail.com)
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- Dazu: Alan Warren, Burma 1942: The Road from Rangoon to Mandalay , London 2011 :203 ff. ↩
- Siehe: Diaries of General Joseph W. Stilwell, 1900–46, Hg. Hoover Institution (dig.), Eintrag vom 19. Mai 1944. “The more I see of limies, the worse I hate them.” Über Mountbatten: “Louis is a fatuous ass.“ Eintrag vom 17. April 1944. ↩
- In seinem Tagebuch vermerkt er zu einem Telegramm an Präsident Roosevelt (den er auch hasste): „Wiring to Wash. to give me command in B.! Not only Ch. but Br. too – Bitter feeling @ limies.“ Siehe: Diaries of General Joseph W. Stilwell, 1900–46, Hg. Hoover Institution (dig.), Eintrag vom 9. März 1942. Das Angebot des britischen Generals Slim eine Division nach Miyitkyina einzufliegen, wies er höflich zurück. „Answered politely that he could stick the 3d Ind. Div up his ass. Copy to Louis.“ Eintrag vom 17. April 1944. ↩
- Siehe: Charles F. Romanus und Riley Sunderland, China-Burma-India Theater: Stilwell’s Command Problems, Washington 1956 :233. ↩
- Stilwell, Diaries, Eintrag vom 13. Febr. 1944. Dazu auch: Hans van de Ven, War and Nationalism in China: 1925-1945, London 2003 :50. ↩
- 深圳市龙越慈善基金 ↩
- Vgl.: Huanqiu Shibao 环球时报, 6. Nov. 2015. ↩
- Die Einebnung der Gräber war eine der anti-chinesischen Maßnahmen gewesen, mit dem der birmanische Staat auf die Besetzung seiner Grenzgebiete durch geflüchtete Kuomintang-Truppen reagierte. Weil sich, kaum waren die Engländer abgezogen, die Kuomintang 1950 im ohnehin unruhigen Bergland von Oberbirma festsetzte, fürchtete die Regierung in Rangun, das ganze Gebiet könnte unter chinesischen Einfluss geraten. Auch nachdem 1961 ein Abkommen mit Chiang Kaishek den Abzug der Kuomintang-Truppen nach Taiwan einleitete, erledigten sich diese Befürchtungen nicht, denn die Kommunistische Partei Birmas, die ihre Soldaten vor allem aus den Reihen der Kachin, der Schan und der Wa rekrutierte und große Teile des nördlichen Birma beherrschte, erhielt ihre Waffen aus China. ↩
- Vgl.: Nanfang Zhoumo 南方周末, 13. Juni 2013. ↩
- Vgl.: Shidai Zhoubao 时代周报, 25. Jan. 2013. ↩
- Vgl.: Nanfang Zhoumo 南方周末, 7. Juli 2015. ↩
- Vgl.: Huanqiu shibao 环球时报, 6. Nov. 2015. ↩
- Vgl.: Nanfang Zhoumo 南方周末, 13. Juni 2013. ↩
- Vgl.: Dorothy Woodman, The Making of Burma, London 1962 :518. ↩
- Vgl.: Nanfang Zhoumo 南方周末, 8. Nov. 2015. ↩
- Vgl.: Nanfang Zhoumo 南方周末, 13. Juni 2013. ↩