Die Glaubwürdigkeit Marco Polos wurde immer wieder angezweifelt.1 Wie könne er in China gewesen sein, heißt es, wo er doch über so viele unübersehbare Dinge nicht berichtet habe? Die Große Mauer, die doch wirklich nicht zu übersehen ist, habe er nicht beschrieben und weder den Tee noch die chinesische Schrift mit ihren Besonderheiten erwähnt. Auch finden sich in seinem Bericht statt der chinesischen Ortsnamen oft persische und türkische Namen, als habe ein islamischer Reisender den Text verfasst. An einer Stelle behauptet er, Gouverneur von Yangzhou gewesen zu sein, damals eine der größten und reichsten Städte Chinas. Zurecht heißt es, hätte Marco Polo ein derart wichtiges Amt bekleidet, müsste seine Berufung in den Aufzeichnungen der Yuan-Dynastie vermerkt sein. Die Urkunden der Yuan sagen aber dazu nichts. Diese Unklarheiten waren es vor allem, die Marco Polo in Verdacht stellten, er habe irgendwo im Vorderen Orient seinen Bericht aus einer persischen Quelle abgeschrieben, um ihn dann als „Wunder der Welt“ einem europäischen Publikum zu präsentieren.
Es gibt gute Argumente diese Zweifel zu entkräften: Die Große Mauer war im dreizehnten Jahrhundert ein verfallener Lehmwall und glich keineswegs dem imposanten Bauwerk, das die Ming-Kaiser zweihundert Jahre später errichteten. Wo immer der Reisende sich an der alten Seidenstraße aufgehalten haben mag – er muss Tee trinkenden Mongolen begegnet sein. Zudem gab es in allen wirtschaftlichen Zentren des Reiches, so auch in Westasien, chinesische Gemeinden. Dass Marco Polo den Tee nicht erwähnt, erscheint der Nachwelt, weil das Getränk auch in Europa so wichtig geworden ist, als großes Versäumnis. Für ihn hingegen war das Teetrinken nur eine von vielen eigentümlichen Gewohnheiten, die er nicht alle beschreiben konnte. Und was die Schrift anbelangt: Ohne die Zeichen in ihrer Besonderheit zu erwähnen, nennt er doch ein wesentliches Merkmal der chinesischen Schriftkultur. Er spricht von der großen Dialektverschiedenheit und stellt fest, dass dabei dennoch „eine allgemeine Sprache und eine gleichmäßige Art zu schreiben vorherrschend ist.“2
Bleibt dann noch Yangzhou. Wie Marco Polo zum Gouverneur von Yangzhou gemacht wurde, ist eine besondere Geschichte. Mehr dazu weiter unten.
Ein kluger, aber letztlich irregeleiteter Kritiker von Marco Polos Bericht nennt im frühen neunzehnten Jahrhundert das Werk „ungeschickt zusammengesetzt“. Es sei ein christliches Propagandawerk zur „Anfeurung des Eifers der Mongolen-Bekehrung“, erfunden „im Vortheile sowohl der Geistlichkeit als des Handelsstandes insonderheit.“ Tatsächlich seien Onkel, Vater und Sohn Polo wohl nicht weiter gekommen als bis nach Buchara „wohin damals viele Italiener reiseten.“ Was von den weiter östlich liegenden Ländern des mongolischen Reiches erzählt werde, seien „Erinnerungen aus Markt- und Reise-Gesprächen mit Handelsleuten aus diesen Gegenden.“3
Die frommen Geschichten, die Marco Polo in seinen Text einflicht, waren auch Missionspropaganda. Vor allem aber hatten sie eine Schutzfunktion als religiös korrekte Passagen in einem weltlichen Text, der zu einer Zeit entstand, als die Kirche im frommen Eifer damit beschäftigt war Waldenser, Katharer, Joachimiten und andere Luziferianer auszurotten. Die Scheiterhaufen brannten damals auch überall in Oberitalien. Da konnte einer, der über eine Tätigkeit für den Großen Khan berichtete, leicht in den Verdacht geraten, ein Werkzeug der Hölle zu sein. Schließlich galt der Herrscher der Tartaren (ex tartarus = aus der Hölle) nicht wenigen mittelalterlichen Theologen als Höllenfürst.4 Heiligenlegenden, die aus kirchlichen Kalenderwerken abgeschrieben sind und im Reisebericht tatsächlich wie eingeflickt erscheinen, dienten als wiederholte Versicherung, dass hier ein treuer Christ und keinesfalls ein geheimer Götzenanbeter erzählt. Um seiner Versicherung Gewicht zu verleihen, schreckt Marco Polo auch nicht davor zurück, die bizarrsten Geschichten als historische Ereignisse zu würdigen. So erzählt er vom armen Schuhmacher, der dem grausamen Kalifen von Bagdad beweisen sollte, dass der christliche Glaube Berge versetzen könne. Selbstverständlich bewegte sich der Berg. „Der Khalif und alle die, welche ihn umgaben, waren vor Schrecken ergriffen und blieben lange Zeit in einem Zustande des Staunens. Viele von den letzteren wurden Christen, und sogar der Khalif nahm heimlich das Christenthum an und trug immer ein Kreuz unter seiner Kleidung verborgen, welches nach seinem Tode bei ihm gefunden wurde, und deswegen setzten sie ihn nicht im Begräbniß seiner Vorgänger bei.“5
Dass heidnische Herrscher heimliche Christen sind, dass sie noch schwanken, ob sie sich zum Herrn Jesus bekennen sollen und überhaupt kurz davor stünden, mit ihren Edlen und dem ganzen Volk zum Christentum überzutreten, ist eine gerne eingesetzte Wendung der Missionspropaganda. Auch Kublai Khan wird so den Christen im Wartestand zugeschlagen. Die Brüder Maffeo und Nicolo sollen bei ihrer ersten Chinareise von ihm beauftragt worden sein, beim Papst „wol gelert mann“ anzufordern, die ihm und seinem Volk „anweysungen mochte geben des rechten cristenlichen glaubens.“ Überdies orderte er noch Öl von den „lampen die da prinnen zu iherusalem vor dem heyligen grab unsers hernn ihesu cristi.“6 Unglücklicherweise aber scheiterte die Entsendung der hundert begehrten Priester. „Wenn der Papst Männer ausgesendet hätte“, bedauert nun Marco Polo, „die wohlgeeignet gewesen wären, das Evangelium zu predigen, der Großkhan das Christenthum angenommen haben würde, für welches er, wie sicher bekannt ist, eine große Vorliebe hatte.“ Das ist besonders bedauerlich, weil der Kaiser so viele Untertanen hat.7 Der Hinweis auf die vielen Chinesen, die mehr sind als alle übrigen, war also auch schon bei Marco Polo ein gerne gebrauchtes Argument, um den Dingen einmalige Wichtigkeit zu verleihen.
Höchst zufriedenstellend verlief hingegen die Sache mit dem Öl von der Lampe am Heiligen Grab. Als nämlich Maffeo, Nicolo und Marco 1275 nach ihrer Ankunft in Kambalu (Peking), das bestellte Fläschchen ablieferten, fiel der junge Marco – er war gerade mal einundzwanzig Jahre alt – dem Großen Khan auf, der ihn „tugendhafftig vnd von diemütiger art“ befand. „Dar umb er in von stundt zu ritter machet.“ Der Khan heißt es dann, habe ihn, gleich einem seiner Fürsten in Ehren gehalten. Schnell habe der „iunge ritter“ dann die Sprachen der Tartaren erlernt und sich ihre Gewohnheiten zu eigen gemacht, als ob er „eyn geporner mann des lands wer.“8
Literarisch ist das Fläschchen mit dem Öl vom Heiligen Grabe eine elegante Einfügung nach der Mode der Zeit. Um das Jahr 1190 war der Gralsroman des Chrétien de Troyes erschienen, der bald, auch durch Nachdichtungen und Übersetzungen, in Europa ungemein populär wurde. Die Dichter waren sich über den Gral nicht ganz einig. Wolfram von Eschenbach sah ihn als Stein, Chrétien und die Mehrheit der Gralsdichter aber beschrieben ein Gefäß mit einer mystischen Substanz, von der manche sagten, es sei das Blut Christi. Held der Gralslegende ist Parzival, der als einfältiger junger Mann in die Welt hinausgezog, um ein edler Ritter an der Tafelrunde des Königs Artus zu werden.
Shangdu (Xanadu), Palastruinen, © U. Neininger
In Italien besang ein Dichter aus Pisa namens Rustichello in altfranzösischer Sprache die Heldentaten des Königs Artus und seiner Ritter. Dieser Rustichello traf 1298 als Kriegsgefangener in Genua den ebenfalls kriegsgefangenen Marco Polo. Da Marco schon als Siebzehnjähriger nach Asien aufgebrochen war, kann er nur eine geringe formale Bildung besessen haben. Wäre er einigermaßen schreibgewandt gewesen, hätte er den Text selber verfasst, statt ihn zu diktieren.9 Wahrscheinlich aber hatte er zuvor gar nicht daran gedacht, seine Erlebnisse in einem Buch festzuhalten. Nun hatte der Venezianer einen Dichter gefunden, der all die erlebten und gehörten Merkwürdigkeiten aufschreiben würde, „das dy grossen wunder vnd gescheft des almechtigen gotz nicht verswigen und verporgen pleyben.“ Der Pisaner hingegen hatte den fahrenden Ritter getroffen, dessen Aventüren er rühmen konnte. Im Prolog empfahl er den Kaisern und Königen, den Herzögen und Grafen das Buch zur Lektüre. Er hatte da eine klare Vorstellung von seiner Leserschaft. Kein Mann ward je geboren, pries er den versammelten Fürstlichkeiten seinen Helden an, „der in dyser welt mer gesehen vnd gesucht hab dann der edel ritter Marcho polo.“10 Der Dichter und der Kaufmann, der Mann der Vergangenheit, der die keltischen Sagen aus der Frühgeschichte Europas, zu Romanzen aufbereitete, und der Mann der Zukunft, dessen Reisen ein Präludium zum Zeitalter der Entdeckungen waren – die Zusammenarbeit zwischen den beiden kann nicht immer einfach gewesen sein.
Kublai Khan, so heißt es an einer Stelle, schickte seinen venezianischen Höfling „in einer wichtigen Staatssache“ nach Karazan (Yünnan). Marco benahm sich „mit solcher Weisheit und Klugheit in Ausführung der ihm anvertrauten Angelegenheiten, daß er noch höher in der Gnade des Kaisers stieg.“11 Hier war Rustichello am weihevollen Werk, aber auch dem Erzähler mangelt es sichtlich nicht an Selbstbewusstsein. Auffällig ist, dass er kein Wort über die wichtige Staatssache sagt. Aus Bescheidenheit schwieg er sicher nicht.
Das ganze Buch ist durch diesen Widerspruch gekennzeichnet: Der junge Herr Marco hält sich am Hofe des Kublai Khan auf, berät den Herrscher, unternimmt in seinem Auftrag weite Reisen und ist in hohen Ämtern zu finden. Und dennoch bleibt ungewiss, was er in China eigentlich zu tun hatte. Nur bei zwei Gelegenheiten wird er konkret: Einmal sagt er von sich, er sei Gouverneur der Stadt Yangzhou gewesen. Drei Jahre lang habe er, im besonderen Auftrage des Kaisers, diese Stadt regiert.12 Und einmal wurde ihm auch noch das Kommando über eine Schiffsflottille übertragen. Das war gegen Ende seines Aufenthalts in China. Damals sollte die Prinzessin Kogatin als königliche Braut nach Persien reisen. Der Landweg ins Reich des Bräutigams war freilich durch Kriege zwischen den Tartarenfürsten versperrt, und so mussten die Prinzessin und ihr Gefolge umkehren.
„Gerade zu der Zeit, als sie sich wieder einstellten kam Marco Polo zufällig von einer Reise, die er mit einigen Schiffen unter seinem Befehl nach verschiedenen Gegenden Ostindiens gemacht hatte, zurück und stattete dem Großkhan Bericht ab über die Länder, die er besucht hatte, wie über die Umstände seiner eigenen Schifffahrt, welche wie er sagte mit der größten Sicherheit ausgeführt worden war.“13
Der Befehlshaber segelte mit seiner Flottille los und kam zufällig gerade wieder, als sich der Hofstaat darüber beriet, ob der Seeweg derzeit sicher ist. Die Prinzessin könne gefahrlos reisen, meinte Marco Polo, denn er kannte sich in Ostindien aus. Auch auf dem weiten Meer ist er noch der fahrende Ritter, der durch die Welt zieht, einmal hierhin und einmal dahin, immer neuen Aventüren entgegen.
Überhaupt ist er ein irrlichternder Held. Oft verschwindet er über viele Kapitel hinweg aus dem Text, um sich dann als Kommentator wieder zurückzumelden: „Marco Polo hat bei seinen Reisen durch die Provinz nur solche Städte aufgemerkt, die er auf seinem Wege fand, und die übergangen, die hier und dort zur Seite lagen, wie auch viele zwischenliegende Plätze, weil eine Erzählung von allen diesen ein viel zu langes Werk geben und wohl den Leser ermüden würde.“14 Als Ich erscheint er vorwiegend, um die Schilderungen mit seiner Autorität zu bekräftigen. Einmal schreibt er über die Niederlage des Kalifen von Bagdad: „Ich glaube, daß unser Herr Jesus Christus es so für gut hielt, das Unrecht gegen seine treuen Christen, welche von diesem Khalifen so verabscheut wurden, zu rächen.“ Oder wenn es eines der weltlichen Wunder zu bekräftigen gilt, wie das Wunder von den Schiffen auf dem Yangtsekiang: „Ich Marcho sprich/ und glaubet mir für war/ das in der ganczen welt nicht so vil schiff seynn als in dem landt oder auff dem Wasser Quiam.“15 Oder auch wenn er den Pfeilregen in einer Schlacht beschreibt: „Ich Marcho polo mit meinen augen sach den hymel verdackt mit eytel pfylnn/ die von eynen teyl zu dez andernn gingen nicht anders denn ein groß wasser von hymel regnet.“16
Die sprunghafte Art des Helden mal hier und mal da aufzutauchen, mag teils auf Rustichellos literarische Schwächen zurückzuführen zu sein. Hauptursache des erratischen Erzählens aber ist ein gravierender Mangel im Erzählstoff. Zwar behauptet Marco Polo, er habe alle Kenntnisse, die er „durch sich selbst sowohl als durch die Mittheilungen Anderer“, erwarb, „fleißig und regelmäßig“ niedergeschrieben.17 Aber falls er auch etwas über seine Tätigkeit in China notiert haben sollte, verrät er seinen Lesern davon nichts. Er verschleiert hier sein Wirken absichtlich und ganz systematisch. Sein Text wirft viele Fragen auf. Aber die Schlüsselfrage lautet nicht: „War Marco Polo in China?“ Die Frage lautet: „Was hat er in China gemacht?“
Um ihm – wortwörtlich – auf die Spur zu kommen, muss man zunächst einmal seinen Reisewegen folgen. Er scheint ungemein geradlinig gereist zu sein. Die graphische Darstellung seiner Reisen in China kommt mit zwei Linien aus: die eine Route führt von Peking nach Yünnan, die andere in südöstlicher Richtung von Peking nach Zayton (Quanzhou). Die besuchten Orte erscheinen wie an einer Schnur aufgereihte Perlen. Damit entstand der Eindruck, Marco Polo habe (von der Anreise abgesehen) nur zwei große Reisen durch China unternommen.
Marco Polo selbst sagt ganz das Gegenteil. Er behauptet, in China alles erkundet zu haben: „Darum als der große Khan mich, Marco, in ferne Lande seines Reiches, Aufträge zu vollführen, geschickt hat, blieb ich oft vier Monate auf der Reise, da erkundete ich alle Dinge, denen ich begegnete, mit Fleiß und reiste hierhin und dorthin.”18 Oft, sei er gereist, sagt er. Hierhin und dorthin und in jeden Teil des Reiches.
Die Kapitel zu den Wegstrecken von Peking nach Yünnan und von Peking nach Quanzhou, beginnen fast immer mit dem Hinweis auf die Entfernung von einem Ort zum nächsten. Für sich genommen ergeben die Anfangssätze ein Itinerar, wie es die Wanderhändler in Südwestchina noch bis in die neueste Zeit benutzten.19 Solche topografischen Kurzbeschreibungen verzeichneten die Entfernungen von Ort zu Ort, die Brücken, Furten, Brunnen und Bergpässe, die räuberischen und die gastfreundlichen Dörfer und überhaupt alle Punkte, die für den Schutz und die Versorgung der Reisenden wichtig sind. Immer wieder ergänzt und überarbeitet und in „Neuauflagen“ weitergegeben, bewahrten die Itinerarien die Reiserfahrung mehrerer Händlergenerationen.
Marco Polo hatte, wie vermutlich jeder Fernreisende damals, solche Itinerare besessen. Die brachte er nach Italien zurück, und als er sich, wie berichtet wird, Aufzeichnungen aus Venedig nach Genua hat schicken lassen, gehörten die Itinerare gewiss dazu.20 Ihre Entfernungsangaben und Gedächtnisstützen müssen ihm bei der Abfassung des Berichts eine große Hilfe gewesen sein. Er hat sie zur Gliederung seines Berichts herangezogen und wohl auch ganze Sätze in seinen Text übernommen. So erklären sich seine schematischen Kapitelanfänge: „Wenn man Ta-in-fu verläßt und sieben Tagesreisen nach Westen zieht …. Wenn man die Festung Thaigin verläßt und ungefähr zwanzig Miglien weit zieht …. Wenn man von Ka-cian-fu sieben Tagesreisen nach Westen weiterzieht ….“
Die Gliederung nach Itinerarien verstärkt den Eindruck vom ungeschickt zusammengeflickten Werk. So haftet dem Text immer etwas Aktenmäßiges, Bürokratisches an: Punkt Eins: Reise nach Ta-in-fu. Punkt Zwei: Aufenthalt in Thaigin. Punkt Drei: Weiterfahrt nach Ka-cian-fu. Dieser pedantische Aufbau befindet sich im ständigen Widerspruch zu dem romatischem Schwung den Rustichello dem Text zu geben versucht. Was zwischen dem spröden Berichten und dem schwungvollen Fabulieren fast völlig fehlt, ist das persönliche, realistische Erzählen. Beschreibungen wie die von der Brücke, die in Europa dann unter seinem Namen berühmt wurde, sind selten: „Als ich zehn Meilen von der Hauptstadt hinwegkam, fand ich ein großes fließendes Wasser, das heißt Pulisangan, das in den großen Ozean sich ergießt, und es gehen viele Schiffe mit Massen von Waaren auf diesem Wasser. Ueber diesen Fluß geht eine sehr hübsche steinerne Brücke, dergleichen vielleicht nicht in der Welt ist.“21
Die Gliederung des Textes hat die Kommentatoren dazu verleitet, nur zwei lange Reisen anzunehmen, die Marco Polo in China gemacht haben soll. Seine eigene Behauptung, er habe das ganze Land bereist, wurde meist ignoriert. Nicht völlig zu unrecht. Er ist keinesfalls kreuz und quer durch China gereist. Bei der Erklärung er sei „zu vertraulichen Missionen in jeden Teil des Reiches“ entsandt worden, war wieder Rustichello federführend. Unzweifelhaft hat Marco Polo viele Reisen durch China unternommen, aber stets in Gebiete, in den denen beruflich tätig war. Tätig war er im Küstengebiet des Südostens, am Kaiserkanal und in den Gebirgsregionen des Südwestens. Der Text beschreibt das nicht explizit, denn ein edler Ritter reist „in ferre landt zu künigen und hernn“22 und nicht von Dienststelle zu Dienststelle.
Die Bearbeiter, Übersetzer und Kopisten bis hin zu dem Geographen Ramusio, der für seine 1559 erschienene Druckfassung verschiedene Handschriften verglichen hat, trieben den Kult um den fahrenden Ritter weiter. So findet sich auf dem Titelblatt der ersten Druckfassung des Textes (Nürnberg 1477), das Bildnis des Reisenden mit den Worten eingerahmt: „Das ist der edel Ritter. Marcho polo von Venedig der grost landtfarer. der vns beschreibt die grossen wunder der welt die er selber gesehenn hat. Von dem auffgang pis zu dem nydergang der sunnen. der gleychen vor nicht meer gehort seyn.“
Wenn ein Edelmann, ein hoch geehrter Höfling, ein Berater des Kaisers eine Aufgabe übernimmt, dann segelt er als Flottillenadmiral übers Meer. Zu Lande muss er aber mindestens Gouverneur sein, und als einer von zwölf vom Kaiser berufenen Baronen das Reich regieren. Gewiss war es nicht der Fehler eines nachlässigen Kopisten, durch den Marco Polo vom einfachen Beamten zum Gouverneur von Yangzhou befördert wurde. Die Bearbeiter weigerten sich einfach zu glauben, dass ein „Ehrenbegleiter des Kaisers“ wenn er sich herablässt ein Amt zu übernehmen, nicht wenigstens eine Provinz regiert. Nur die Nürnberger Ausgabe vermerkt an dieser Stelle nüchtern: „Ich Marcho polo von meynß hernn des grossen Chams wegen/ pey dem verweser und haubtman des lands Mangi drey gancze iar was.“23 Er war also Beamter im Dienst des Gouverneurs. „Drey gancze iar“ blieb er auf seinem Posten. Damit hatte er eine typische chinesische Beamtenkarriere eingeschlagen, bei der Versetzungen im dreijährigen Abstand die Norm waren. Dass er als Ausländer Karriere machen konnte, war freilich nur für die Mongolenzeit typisch.
Die kaiserliche Bürokratie war seinerzeit schon eine altehrwürdige Institution, die nach einem eingefahrenen Regelwerk arbeitete. Freilich hatten die mongolischen Besatzer einen wesentlichen Teil dieser Institution, die Examina, abgeschafft. Die Söhne der Steppenkrieger, die das Reich zu Pferde erobert hatten, hätten gegen die konfuzianisch gebildeten Söhne der einheimischen Oberschicht im traditionellen Prüfungssystem keine Chance gehabt. So wurden ethnische Kriterien für die Auswahl entscheidend. Die Mongolen hatten die Gesellschaft in vier Klassen eingeteilt. Den obersten Rang behielten sie sich selbst vor. Ihnen folgten die Semuren (色目人), die „Menschen der besonderen Klasse“. Gemeint waren damit alle Ausländer. Die dritte Klasse, die Hanren 漢人 (Cathayer), bildeten die Nordchinesen und die einstigen Nomadenvölker, die Nordchina erobert hatten und seit langem dort sesshaft geworden waren. Die Letzten waren die Nanren 南人 oder verächtlich Manzi 蠻子 (Mangi) genannten Südchinesen.24 In dieser Reihenfolge wurden nun die Ämter verteilt. Verteilt wurden die Ämter auch nach aristokratischem Rang, militärischem Verdienst, Loyalität und schließlich auch nach intellektueller Begabung. Um die Effektivität ihrer Bürokratie zu überwachen, behielten die mongolischen Besatzer die routinemäßige Evaluierung (kao 考) bei. Alle drei Jahre – in der Hauptstadt im Abstand von dreißig Monaten – wurde die Leistung eines Beamten bewertet. Danach konnte er befördert, versetzt oder auch degradiert werden Zur Herrschaft über das Land Mangi, berichtet Marco Polo, hatte der Kaiser neun „Vizekönige“ eingesetzt. Einer dieser neun Statthalter regierte in Hangzhou. Auch er erhielt sein Amt „wie alle anderen öffentlichen Beamten“ nur für drei Jahre verliehen.25
Den europäischen Lesern mag es ganz folgerichtig erschienen sein, dass der große Landfahrer und edle Ritter für seine weite Reise sogleich nach seiner Ankunft vom Kaiser mit einem Hofamt belohnt wird. Aus fernöstlicher Sicht freilich waren die Polos drei Fremde in einer Masse von Fremden, die es nach China verschlagen hatte. Im Gefolge der Mongolen kamen die Fremden als Kaufleute, als Soldaten, aber auch als versklavte Kriegsgefangene in großer Zahl ins Land. Türken, christliche Alanen, Russen, Perser, dazu nestorianische Syrer und andere Anwohner der Mittelmeers. Einmal erwähnt Marco Polo einen Deutschen, der für die Mongolen vor der Erstürmung einer chinesischen Stadt einen Katapult baut.26 Nur von weither, aus Venedig gekommen zu sein, genügte in dem unüberschaubaren und ununterscheidbaren Gemenge von Völkerschaften nicht, zum Berater des Kaisers aufzusteigen. Andererseits war für einen jungen intelligenten, wohl auch sprachbegabten Ausländer die Zeit einmalig günstig, um eine wenigstens bescheidene Karriere als chinesischer Beamter zu machen. Zunächst aber brauchte er dazu Beziehungen.
Unterhalb von Rustichellos hochgemuten Beschreibungen, auf der realistischen Textebene, findet sich eine Erklärung, wie der aus Venedig angereiste junge Mann Zugang zum Beamtenapparat fand. Marco Polo nennt selten Eigennamen, und wenn, dann nur in historischen Zusammenhängen. Eine Ausnahme macht er mit der Erwähnung seines Reisegefährten Zufficar. Über diesen Zufficar erfahren wir, er sei „des grossen Chams diner“ und als „grosser meyster der erczte oder pergkwerck“, für den Erzabbau in einer Landschaft von Ostturkestan zuständig gewesen. Marco Polo hatte also einen leitenden Beamten der Bergbaubehörde zum „guten gesellen“.27
Der Meister der Erze und Bergwerke war gewiss beeindruckt von den naturkundlichen Kenntnissen seines Mitreisenden, der ihm aus Armenien erzählen konnte, wie dort Erdöl als Brennstoff genutzt wird und der sich im persischen Kerman über die Gewinnung von Tutie kundig gemacht hatte. Tutie, ein Zinkoxyd, wird durch das Schmelzen von Kupfererz und Zink gewonnen und war als Augensalbe und Mittel gegen Hautkrankheiten hoch geschätzt. Marco erwies sich als sehr genauer Beobachter:
„Es ist ein Bergwerk im Lande, wo sie eine Erde graben; diese rösten sie in einem glühenden Ofen, auf welchem ein eiserner Rost liegt, der den Dampf empfängt, welcher daran hängt und wenn er kalt wird, hart ist. Das ist die Tutie, während der grobe und schwere Theil, der nicht aufsteigt, sondern als ausgeglühte Kohle im Ofen bleibt, Spodium wird.“28
Im afghanischen Taloqan interessiert er sich für den Abbau von Steinsalz, das mit eisernen Gerätschaften aus dem Berg herausgebrochen wird.29 Seine Beobachtungen über den Salzabbau vor allem, wurden ihm dann für seine spätere Beamtenkarriere sehr nützlich.
Zufficar erklärt ihm auf dem Weg nach Peking die Gewinnung von Asbest. Asbesttuch war im Altertum aus dem oströmischen Reich nach China eingeführt worden. Es galt als Gewebe aus der Haarpracht des Salamanders, der im Feuer lebt und war Gegenstand vieler Wundergeschichten.30 Mit dem Material waren auch die Legenden über seine Entstehung in den Flammen nach China gereist. Der berühmte Alchemist Ge Hong behauptete, ein weißes Nagetier, das in hohlen Baumstämmen lebe, aber sich auch im Feuer wohlfühle, liefere das Haar, das zu Asbesttuch gesponnen und verwoben werde.31
Im Jahre 1267 bittet der Minister Achmed32, den Kublai Khan in einer Throneingabe die Asbestlager am Berg Bieqiechi erschließen zu lassen. So könne man dann feuerfestes Gewebe herstellen.33 Bis dahin war Asbest in China nur als exotische Handelsware bekannt gewesen. Wenn Zufficar nicht selbst entsandt worden war, den Asbestabbau zu überwachen, muss er doch als Beamter der Bergbaubehörde mit den Unternehmen eng verbunden gewesen sein. Das Wissen des Meisters fasst Marco Polo wie folgt zusammen:
„Die fossile Substanz, welche aus dem Berge gebracht wird, besteht aus Fasern, die denen der Wolle nicht unähnlich sind. Sie wird der Sonne ausgesetzt und getrocknet, dann in einem ehernen Mörser zerstoßen und darauf so lange gewaschen, bis alle erdigen Theile sich davon losgelöst haben; dann spinnen sie dieselben zu Faden und weben sie zu Tuch. Um nun das Gewebe weiß zu machen, legen sie es ins Feuer und lassen es ungefähr eine Stunde darin, dann ziehen sie es unverletzt von den Flammen und weiß wie Schnee gebleicht, heraus. In derselben Weise reinigen sie es später wieder, wenn es Flecken bekommen hat, und es wird dabei keine andere Wäsche als die im Feuer angewendet.“34
Marco bezeichnet den Asbest als eine „Substanz von der Natur des Salamanders“, aber er fügt hinzu: „Und ihr sollt wissen, dass der Salamander von dem ich rede in Wahrheit weder Vierfüßler noch Schlange ist, denn es ist unwahr, dass jene Tücher aus dem Haar eines Tieres bestehen, wie die Leute bei uns behaupten … Kein Tier kann im Feuer leben, weil jedes Tier aus den Vier Elementen, nämlich Luft, Wasser, Feuer & Erde gemacht ist, sodass es Hitze, Feuchtigkeit, Kälte & Trockenheit in sich hat.“35 Berthold Laufer, der über die Geschichte der Naturkunde in Eurasien wohl mehr wusste als jeder andere, erklärt dazu: „Marco Polo, mit seiner scharfen Beobachtungsgabe und einer guten Portion gesunden Menschenverstands, zerschlug als erster diesen europäischen Aberglauben.“36 Dennoch hielt sich die Legende vom Salamander, der Haare aus Asbest hat und sich im Feuer wohlfühlt, bis in die Neuzeit.37
Wenn die Geschichte vom Kaiser, der das Öl der Lampen, die da brennen zu Jerusalem, „mit grossen wirden vnd andechtigkeyt“ empfing38, um dann sogleich den edlen Ritter Marco in seinen Hofstaat aufzunehmen, die Erfindung eines Romanzendichters ist, dann musste der junge Mann, der sich nun der kaiserlichen Hauptstadt näherte, schon einmal darüber nachdenken, was es denn in China so für ihn zu tun gab. Für solche Überlegungen war es dann nützlich einen „guten gesellen“ zu haben, der in der Verwaltung der Bergwerke eine leitende Position innehatte.
Zufficar hatte sich davon überzeugen können, wie sehr Marco an naturwissenschaftlichen Dingen interessiert war. Dass er überdies aus einer Kaufmannsfamilie kam und gewiss gut rechnen konnte, war ein weiterer großer Vorteil für die Berufspraxis. Wenn Zufficar den begabten jungen Mann bei der Salzvertriebsbehörde untergebracht hat, worauf alles hinweist, war das eine gute Wahl. Marco Polo ging bald völlig in seinem Beruf auf.39 Die Behörde in Yangzhou war mit der Transportbehörde zusammengelegt worden und hatte sich so neben dem eigentlichen Steueramt zu einer zweiten Finanzverwaltung entwickelt. Die Beamten der Salzvertriebsbehörde waren also vor allem Steuerbeamte. Die Finanzverwaltung war damals weitgehend von Semuren besetzt. Das generelle Misstrauen der mongolischen Besatzer gegen ihren Untertanen war in Steuerangelegenheiten besonders ausgeprägt. Deswegen bevorzugten sie in China wie in anderen mongolischen Territorien Fremde in ihrem Finanzwesen.40
Marcos Leben im Dienste der Salzvertriebsbehörde unterschied sich nun völlig von der Welt geheimen Staatsaffären, die dem Romanzendichter Rustichello vorschwebte. Dennoch gelang es dem Erzähler und seinem Dichter einen Text zu erstellen, in dem beide Ebenen ihren angemessenen Platz hatten. Tatsächlich war ihre Zusammenarbeit ein Glücksfall: Die Ritterromantik, mit der Rustichello, den sonst so spröden Text belebte, hat erst den Erfolg des Buches ermöglicht, das bald nach seiner Entstehung in einer Vielzahl von Abschriften, Übersetzungen und Bearbeitungen populär wurde. Marco Polo war nicht der einzige und auch nicht der erste Europäer, der seinerzeit China bereist hat, und gewiss gab es auch Heimkehrer, die eine Menge interessanter Dinge zu erzählen und vielleicht auch aufgezeichnet hatten. Oderico von Pordenone, der sich ein paar Jahrzehnte später, 1323 bis 1328, in China aufhielt, sagt über Hangzhou, er würde es nicht wagen von den riesigen Ausmaßen dieser Stadt zu sprechen, „hätte ich in Venedig nicht eine Menge Leute getroffen, die dort gewesen sind.“41 An diese vielen Leute erinnert nichts mehr, weil keiner von ihnen einen Rustichello gefunden hat.42 Selbst eine meisterhafte Beschreibung, wie die des Wilhelm von Rubruk, der 1253/54 die mongolische Hauptstadt Karakorum besucht hatte, wäre fast der Vergessenheit anheimgefallen. Nur drei Handschriften sind von seinem Itinerarium fratris Willielmi de Rubruquis erhalten geblieben, alle in England, wo der franziskanische Mönchsphilosoph Roger Bacon für seine Studien über Gog und Magog den Bericht seines Ordensbruders herangezogen hatte.43
Dem Salz, der Salzherstellung und dem Salztransport wendet sich Marco Polo in seinem Bericht immer wieder zu. Rustichello haben diese unoriginellen Themen gewiss missfallen, sodass es ihm ein Trost gewesen wäre, hätte er erlebt, wie spätere Bearbeiter des Textes, von dem die Urschrift verloren gegangen ist, emsig an der Legende vom fahrenden Ritter weitersponnen und dafür die Passagen über die Realien zusammenstrichen. Die Beschreibungen der Salzgewinnung in der Provinz Kaindu fällt so in den meisten Ausgaben knapp aus. In der 1559 erschienenen Bearbeitung von Ramusio findet sich die Passage noch ungekürzt:
„Es giebt in diesem Lande Salzquellen, aus denen sie Salz bereiten, indem sie es in kleinen Pfannen sieden. Wenn das Wasser eine Stunde lang gekocht hat, wird es eine Art Teig, welcher zu Kuchen zum Werth zu zwei Pfennigen (denari) gebildet wird. Diese welche flach an der unteren und hohl an der oberen Seite sind, werden auf heiße Ziegeln an ein Feuer gelegt, damit sie trocken und hart werden. Auf diese letztere Art Münze wird der Stempel des Kaisers gedrückt, und sie darf durch Niemand anderes als seine eigenen Beamten bereitet werden. Achtzig Stück gelten einen Saggio Gold (d. i. 1/2 Unze Venezianisch). Aber wenn sie von den Handelsleuten zu den Einwohnern der Gebirge und nach anderen wenig besuchten Gegenden verführt werden, so erhalten sie für sechzig, fünfzig oder sogar vierzig solcher Salzkuchen einen Saggio … Dieselben Kaufleute reisen in gleicher Weise durch die Gebirge und andere Gegenden Thebets, von denen wir gesprochen haben, wo das Salzgeld gleichfalls kurrant ist. Ihr Gewinn ist beträchtlich weil diese Landleute das Salz zu ihrer Nahrung brauchen und es als unumgänglich nothwendig für ihre Bedürfnisse betrachten, während die Einwohner von den Städten zu demselben Zwecke blos die zerbrochenen Stücke der Kuchen brauchen und die ganzen Kuchen als Geld in Umlauf setzten.“44
Das Salzmonopol brachte dem Staat mehr Geld ein als alle anderen Steuerarten.45 Yünnan war besonders wichtig. Als Grenzgebiet zu unruhigen Nachbarn genoss es einen Sonderstatus. Die Steuern blieben in der Provinz, die von einem Enkel des Kublai Khan regiert wurde. Es gibt dort, sagte Marco Polo, „Salzquellen, aus welchen man allen Salzbedarf der Einwohner gewinnt. Die Abgabe auf dieses Salz gewährt dem Könige eine reiche Revenue.“46 Da die wenigen Produktionsstätten leicht zu überwachen und die schwierigen Transportwege gut zu kontrollieren waren, konnte die Salzsteuer als sichere Einnahmequelle fortlaufend erhöht werden, um die Staatsausgaben, vor allem die immensen Kosten für die Kriegsführung der mongolischen Heere, zu begleichen. Aus Yünnan berichtet Marco Polo, das Salz sei dort so teuer, dass es sich nur die „Personen höherer Stände“ leisten konnten. Die hätten die Gewohnheit, rohes Fleisch zu essen, das sie in kleine Stückchen schneiden und unter Zugabe von Gewürzen in eine Salzbrühe einlegen. „Die ärmere Klasse aber taucht es, nachdem es klein geschnitten, blos in eine Knoblauchbrühe und ißt es, als wenn es gekocht wäre.“47
Der bürokratischen Routine folgend, muss Marco wenigstens drei Jahre in Yünnan verbracht haben. Der Fülle des Materials nach zu schließen, könnte er im Südwesten nacheinander zwei oder drei Posten bekleidet haben. Seine weitere Karriere führte in dann nach Südostchina. Er war in Yangzhou, und mit Gewissheit hielt er sich auch für drei Jahre in der Stadt Hangzhou auf, die er so genau beschreibt.48 Vielleicht hat er als Beamter des Gouverneurs von „Mangi“ (also Südchina), 1284 sogar den Umzug seiner Dienstelle von Yangzhou nach Hangzhou erlebt.
Der zentralen Salzvertriebsbehörde unterstanden 29 Salinenämter49, von denen die meisten im Gebiet zwischen der Küste und dem Kaiserkanal angesiedelt waren. Große Teile des Landes wurden von hier aus mit Salz versorgt. Das ertragreichste Salinengebiet aber war Cangzhou im Norden. Die Stadt am Kaiserkanal war Umschlagplatz für acht Produktionsstätten und ist noch heute ein Zentrum der Salzherstellung in China.50 Wie so oft in seiner Beschreibung einer Stadt reiht der Erzähler erst einmal ein paar Allgemeinplätze aneinander: 1. Die Einwohner beten Götzen an. 2. Sie verbrennen die Leichen. 3. Sie bezahlen mit Papiergeld. Dann aber geht er ins Detail:
„In dem Lande wird eine salzhaltige Erde gefunden. Diese schichten sie in große Haufen auf und gießen Wasser darüber, welches durch die Masse dringt, die Salztheile einzieht und sich in Kanälen sammelt, aus denen es in sehr umfangreiche Pfannen gebracht wird, die aber nicht mehr als vier Zoll hoch sind. In diesen wird es sorgsam gesotten und dann läßt man es krystallisiren. Das so bereitete Salz ist weiß und gut. Die, die sich hiermit beschäftigen, haben guten Gewinn, und der Großkhan zieht gute Einkünfte hiervon.“51
Der Gelbe Fluss, der damals südlich der Shandong-Halbinsel ins Meer mündete, bildete die Grenze zwischen Cathaya und Mangi. Gleich am Südufer gab es zu berichten, dass hier Salz in großen Mengen „zur Ausführung nach anderen Gegenden“ bereitet wird. „Von diesem Salze zieht Se. Majestät große Einkünfte.“ Er erwähnt Salzwerke „wo Massen von Salz bereitet werden.“ Um dann zu schließen: „Von diesem Produkte erhebt der Kaiser große Einkünfte, deren Betrag kaum geglaubt werden würde.“52
- EXKURS: Marco Polo in den chinesischen Quellen. Mit der Etablierung der Sinologie in Europa waren die Forschungen über Marco Polo stets von der Hoffnung begleitet, in den chinesischen Quellen einen Hinweis auf den berühmten Reisenden zu finden. Einige Namen, die als chinesische Umschreibung des Namens Polo gelten können, wurden gefunden, von den Exegeten diskutiert, dann aber aus verschiedenen guten Gründen wieder verworfen. Seit einigen Jahren ist die Geschichte der Yuan (Yuan shi) digitalisiert zugänglich. Damit ist die einst so mühselige Suche in dem umfänglichen Werk entschieden einfacher geworden. Ich habe nun einen Eintrag zu einem Salzinspektor namens Bulu 不魯, gefunden, der als einer von fünf Beamten entsandt worden war, verschiedene Provinzen zu inspizieren.53 Von den Fünfen trägt nur einer, Zhang Honggang, einen chinesischen Namen, ein zweiter Name – Sun Huan oder Sunhuan – ist ungewiss. Die Herren Sanduding, Bulu und Hesan (Hassan) hingegen waren keine Chinesen. Von meiner Vermutung, mit Bulu müsste Marco Polo gemeint sein, bin ich freilich wieder abgekommen: In China stellten sich die drei Männer aus der Familie Polo gewiss nicht mit ihrem Familiennamen vor. Nicht nur, weil das unpraktisch war und nur zu Verwechslungen geführt hätte; der Familienname war zu dieser Zeit in Europa (und ebenso bei den zentralasiatischen und westasiatischen Völkern) nebensächlich. So spricht Marco Polo von sich selbst als Marco oder Marco Polo. Nie aber nennt er sich nur Polo. Der Nürnberger Druck von 1477 bringt diese Namenshierarchie im Schriftbild zur Geltung. Der Familienname wird klein, der Rufname hingegen groß geschrieben: Marcho polo. Die Suche muss sich also auf Schriftzeichen konzentrieren, die den Namen Makuo, Make, Magou oder ähnlich wiedergeben. Meine (freilich längst nicht alle Möglichkeiten erschöpfende) digitale Suche, blieb ohne Ergebnisse. Da Marco Polo keine herausragende Beamtenstellung inne hatte, ist es aber wenig wahrscheinlich seinen Namen in den Quellen vermerkt zu finden.
Rustichellos romantisches Meisterstück ist die Beschreibung der Verabschiedung von Onkel, Vater und Sohn durch den Großkhan. Marco Polo wurde vom Großen Khan in so hohen Ehren gehalten, dass ihm „die landt herren etwas neydt trugen“, wie es in der ersten Druckausgabe heißt. Das hätte den edlen Ritter bewogen, beim Kaiser um den Abschied nachzusuchen.54 In der Fassung von Ramusio freilich ist es allein das Heimweh, das ihn bestimmt China zu verlassen: „Unsere Venezianer hatten nun viele Jahre an dem Kaiserlichen Hof gelebt, in dieser Zeit viele Reichthümer sich erworben in Juwelen von Werth und in Gold und fühlten große Sehnsucht nach ihrem Vaterlande; und obwohl sie in großen Ehren von dem Khan gehalten wurden, war dieses Gefühl bei ihnen doch vorherrschend.“ Die drei kommen also um ihren Abschied nach. Da aber erweist sich Kublai als ungemein anhänglich und sehr besorgt um seine Venezianer: So eine Reise sei doch gefährlich, warnt er, und überhaupt, wenn es ihnen ums Geld gehe, das lasse sich regeln. Er bietet ihnen also an ihren Reichtum zu verdoppeln, und verweigert ihnen, nachdem sie auf ihrem Wunsch beharren, einfach die Ausreise.55
Keine Ritterromanze kann auf ein schöne iunckfrawen verzichten, die es zu beschützen gilt und die im rechten Augenblick dem Ritter hilfreich zur Seite steht. 56 Das war die Prinzessin Kogatin, die an Arghun, den „König von Indien“ verheiratet werden sollte. (Arghun herrschte nur über Persien, aber Indien hätte er gerne gehabt). Die Prinzessin war „an irem alter in dem sibenczehesten iar/ und schön an maß.“ Nachdem der Landweg unpassierbar geworden war, riet Marco den unschlüssigen persischen Gesandten zum Seeweg.57 Er kannte sich aus, denn er war, wie schon berichtet, als Befehlshaber einer Flottille gerade aus Ostindien zurückgekehrt. Die Gesandten hatten nun „grosse kuntschafft mit dem lateynischen Ritter gewunnen/ vnd seyn tugent wul vernumen“ und versprachen ihm, sich beim Kaiser für seine Heimreise einzusetzen. Seine Fürsprecher beim Kaiser „pegerten die genad/ das er vergünnen wolt dem ritter marcho polo der iunckfrawen geselschaft zu thun in das landt gen India.“ Der Bitte „der iunckfrawen geselschaft zu thun“ konnte sich der Kaiser als ein bekannt edelmütiger Herrscher nicht verschließen.58 Marco, sein Vater und sein Onkel dürfen nach Venedig heimkehren. Beim Abschied beschenkt sie Kublai „mit vielen Rubinen und anderen köstlichen Edelsteinen von großem Werthe“, gegen das Versprechen, doch bald wieder nach China zu kommen.59
An diesem romantisch verklärten Abschied aus China ist vor allem eines unbestreitbar: Onkel, Vater, und Sohn Polo waren steinreich geworden. „Frisch und gesund und mit großen Reichthümern“, seien sie in Venedig eingetroffen.60 Ihr Biograph Ramusio schildert, wie sie bei ihrer Heimkehr die Kleidersäume auftrennten und unglaubliche Mengen der kostbarsten Juwelen hervorholten.61
Die Beamten in China wurden auf ihren Posten oft reich. Natürlich wurden sie nicht reich, weil ihnen der Kaiser „grosse gab und schanckung thett“ und gelegentlich ein mit Karfunkeln und Rubinen wohlgefülltes Kästchen vermachte. So ging es nur in Rustichellos Ritterromanzen zu. Beamte der Monopolverwaltung kamen zu Reichtum, weil sie einen beträchtlichen Teil der Zölle und Abgaben, die sie im kaiserlichen Auftrag einzogen, für sich behielten. Am reichsten konnte einer in Yünnan werden, wo die Steuern hoch und die Transportwege leicht zu überwachen waren.62 Die Kosten für die Verbraucher, schreibt Marco Polo, stiegen „in dem Maße, als die Einwohner weniger zivilisirt, von den Städten weiter entfernt und mehr gewöhnt [sind], auf derselben Stelle zu bleiben.“ Es sei doch so, bemerkt Marco Polo weiter, dass „Leute in derlei Verhältnissen nicht immer Absatz für ihr Gold, ihren Moschus und andere Waaren haben können. Und sogar zu diesem Preise entspricht es vollkommen den Wünschen solcher Leute, welche den Goldsand aus den Flüssen sammeln.“63 Er argumentiert hier wie ein moderner Sozialwissenschaftler, der über die Ausbeutung der Peripherie durch die Metropole schreibt, wobei er auch nicht zu erwähnen vergisst, welche Rohstoffe sich an der Peripherie finden. So in Tibet: „Do vindt man auch vil perleyn und türcklem vnd ander edel gesteyn.“ Und auch aus dem benachbarten Yünnan ist ein reiches Vorkommen an Perlen, Türkisen und anderen Edelsteinen zu vermelden: „Do ist ein grosser see dar inn vindt man dy perlem. In den gepirg des lands vindt man edels gesteyns/ sunderlich gute türckin.“64 In Yünnan vergab das staatliche Monopol die Schürfrechte für Edelsteine und die Lizenzen zur Perlenfischerei. Der Perlenbestand im See war so groß, dass die Behörde beim Linzenzhandel auf den Grenzwert achten musste, wäre doch bei einer unbeschränkten Vergabe von Fischereirechten der Preis für Perlen stark gefallen.65
Zu den vom chinesischen Salzmonopol abhängigen Gebieten, zählte auch das Bergland von Birma. Die Edelsteinminen von Mongkok waren schon damals für ihre unvergleichlichen Rubine berühmt. Die Rubine waren auch Zahlungsmittel. So dürfte der eine oder andere kostbare Stein aus dem birmanischen Bergland ins Gepäck von Marco Polo und nach Venedig gelangt sein.
Mit Steuereinnahmen das private Vermögen zu mehren war verboten, aber ganz üblich. Ein Beamter musste also jederzeit mit einer Korruptionsklage rechnen. Um sich gegen eine derartige Schicksalswende wirksam zu versichern, brauchte er einen Kreis von guten Gesellen, die einander schützend beistanden. War so ein Kreis zu schwach, um sich gegen andere Freundeskreise in der Bürokratie zu behaupten oder isolierte sich ein Einzelner innerhalb seines Kreises, konfiszierte der Staat das angehäufte Vermögen, schickte den korrupten Beamten in die Verbannung oder ließ ihn hinrichten. Ein umsichtiger Beamter musste also immer auf der Hut vor Intrigen sein. In seiner langjährigen Tätigkeit hatte Marco Polo genug Gelegenheit gehabt, die Unabwägbarkeiten einer chinesischen Beamtenkarriere zu studieren. Als er nun merkte, dass einige mächtige Herren in seiner Umgebung „etwas neydt trugen“ und ihm seine Stellung missgönnten, war er klug genug, rechtzeitig um seine Entlassung aus dem Dienst nachzusuchen.
Kurz: Marco Polo war als Beamter für das staatliche Salzmonopol tätig. Er ist, wie andere auch, in seinem Amt reich geworden. Nun stellt sich die Frage, warum hat er das nicht seinen Lesern erzählt?
Zunächst war da der Einfluss Rustichellos, der einen ruhmreichen Ritter in der Tafelrunde des chinesischen Kaisers und keinesfalls einen Finanzbeamten im mittleren Dienst für die Heldenrolle des Textes brauchte. Viel mehr aber noch war es das allen Geldgeschäften im Mittelalter anhaftende Stigma, das Marco Polo davon abhielt, sich zu seiner Tätigkeit zu bekennen. Den Christen galt der „Zöllner“, ebenso wie die Geldwechsler, Wucherer, Pfandleiher und andere mit Geldgeschäften befassten Berufe, als ehrlos. Das Neue Testament, im Mittelalter die oberste Autorität in Fragen der Ethik, erzählt dazu die Geschichte vom verzeihenden Jesus, der, zum Gespött seiner Feinde, sich sogar mit Zöllnern und anderen Sündern an einen Tisch setzt. Im Gleichnis vom Pharisär und vom Zöllner wird der Zöllner mit den Räubern, Ungerechten und Ehebrechern in eine Reihe gestellt.66
So erklärt es sich, dass der Heimkehrer zwar ausführlich über das Salz, die Erträge aus der Salzsteuer, und auch einiges über das allgemeine Finanzwesen und die Geldpolitik schreibt, aber dabei ganz unbeteiligt erscheint, als hätte er diese Informationen eher zufällig erhalten. Etwa wenn er aus Quinsai (Hangzhou) berichtet: „Marco Polo ist dabei gewesen, als die Rechnung gemacht wurde, und hatte Gelegenheit, kennen zu lernen, daß die Einkünfte Sr. Majestät, mit Ausnahme der Abgaben, welche vom Salze erhoben werden, sich des Jahrs auf die Summe von zweihundertundzehn Tomans (jeder Toman zu achtzigtausend Goldsaggi) oder sechzehn Millionen achtmalhunderttausend Dukaten beläuft.”67 Er rühmt sich, dass seine genauen Kenntnisse aus erster Hand sind, behauptet aber sie einfach bei Gelegenheit „als die Rechnung gemacht wurde“ erworben zu haben.
Die chinesische Bürokratie war nie dafür bekannt, dass sie Außenstehenden Gelegenheit gibt, ein wenig mitzurechnen. Hier spricht einer, der in den Betrieb involviert war. Das Bild des berühmten Reisenden mag nun ein wenig an Glanz verlieren. Er war nicht der vertraute Hofbeamte des Kublai Khan. Er war nicht in wichtigen Staatsangelegenheiten unterwegs. Aber es kann kein Zweifel darüber bestehen: Er war in China.
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„In dem Lande wird eine salzhaltige Erde gefunden. Diese schichten sie in große Haufen auf und gießen Wasser darüber, welches durch die Masse dringt, die Salztheile einzieht und sich in Kanälen sammelt, aus denen es in sehr umfangreiche Pfannen gebracht wird, die aber nicht mehr als vier Zoll hoch sind. In diesen wird es sorgsam gesotten und dann läßt man es krystallisiren.“
Abb. aus Song Yingxing 宋應星, Erschließung der Naturschätze 天工開物 (1637).
Peking, im Juni 2012 © 2012 Ulrich Neininger (u.neininger@hotmail.com)
- Eine erste Fassung dieses Textes wurde Mitte der neunziger Jahre zur Fachberatung eines Dokumentarfilms geschrieben. Damals war ein Buch von Frances Wood (Did Marco Polo go to China?, London 1995) erfolgreich, in dem die Autorin behauptete, Marco Polo sei nicht in China gewesen. Die Dokumentation schloss sich dann dieser Auffassung an. Meine Beratung konnte das leider nicht verhindern. ↩
- Die Reisen des Venezianers Marco Polo im dreizehnten Jahrhundert. Zum ersten Male vollständig nach den besten Ausgaben Deutsch mit einem Kommentar von August Bürck. Nebst Zusätzen und Verbesserungen von Karl Friedrich Neumann, Leipzig 1845, 2, 77 :501. ↩
- Karl Dietrich Hüllmann, Städtewesen des Mittelalters, Bonn 1829, Band 4 :360. ↩
- Roger Bacon (Opus Maius, 1266) setzt die Mongolen mit den Völkern Gog und Magog gleich, die mit dem Erscheinen des Antichrist die Welt erobern (Jurgis Baltrusaitis, Das phantastische Mittelalter. Antike und exotische Elemente der Kunst der Gotik, Frankfurt 1985 :246). Der florentinische Prediger Ricold von Monte Croce begründet Ende des 13. Jh. seine Warnung etymologisch: Der Name Mongoli sei aus dem Namen Magogli verballhornt. (Anna-Dorothee v. den Brincken, Gog und Magog, in Die Mongolen, Hg. Walter Heissig, Claudius C. Müller, Bd. 2 :29). Einige Jahrzehnte später hatte Jean de Roquetaillade eine Vision: Der Antichrist weile als zweijähriger Knabe in Zaitun (Quanzhou, die Hafenstadt, von der aus Marco Polo seine Rückreise angetreten hatte). Folker Reichert, Begegnungen mit China. Die Entdeckung Ostasiens im Mittelalter, Sigmaringen 1992 :224. ↩
- Reisen des Venezianers 1,8 :80. ↩
- Das puch des edeln Ritters vnd landtfarers Marcho Polo, Friedrich Creußner, Nürnberg 1477 :11. ↩
- Reisen des Venezianers 2,2 :269 f. ↩
- Das puch des edeln Ritters :14. ↩
- Ramusio schreibt bewundernd: Obwohl Marco Polo doch so lange Zeit unter unkultivierten Tartaren verbrachte und keine reguläre Ausbildung in der Kunst des Schreibens erhalten habe, gebe er doch eine wohlgeordnete Schilderung seiner Erlebnisse. Dazu: Henry Yule, The Travels of Marco Polo, Bd. 1, Marco Polo and his Book, Introductory Notices, I. Obscurities 2. ↩
- Das puch des edeln Ritters :7. ↩
- Reisen des Venezianers 1,4 :48. ↩
- Reisen des Venezianers 2,60 :443. ↩
- Reisen des Venezianers 1,1,6 :51. ↩
- Reisen des Venezianers 54 :434. ↩
- Das puch des edeln Ritters :87. ↩
- Das puch des edeln Ritters :59. ↩
- Reisen des Venezianers 1,1,4 :48. ↩
- Reisen des Venezianers 2,27 :355. ↩
- In den 1970er Jahren habe ich solche Itinerarien im Bergland von Birma bei Wanderhändlern, chinesischen Moslems, noch in Gebrauch gesehen. ↩
- Viele der reisenden Händler im damaligen China waren aus dem islamischen Vorderasien zugewandert. Entsprechend groß wird dann auch der Anteil der von Moslems verfassten Itinerare gewesen sein. So gelangten persische anstelle der chinesischen Ortsnamen in den Bericht des Marco Polo. Die Itinerare, die er benutzte, waren zu seiner Zeit schon nicht mehr auf dem neuesten Stand. Die Yuan-Dynastie (1206 bis 1368) hatte zu Beginn ihrer Herrschaft viele Orte umbenannt. Die meisten regionalen Verwaltungszentren, die den Zusatz Fu 府getragen hatten, trugen nun den Zusatz Lu 路. (Dazu: 中國歷史地圖集 Historischer Atlas von China, Shanghai 1982, Bd. 6, Die Zeit der Song, Liao und Jin; Bd. 7, Die Zeit der Yuan und Ming. So wurde aus der Stadt Taiyuanfu die Stadt Taiyuanlu und aus Pingyangfu wurde Pingyanglu. Marco Polo schreibt Ta-in-fu und Pin-an-fu. Diese veralteten Namensformen durchziehen den ganzen Bericht. Nach dem Yuan yitong zhi, 元一統志 zit. in der Geschichte der Yuan (Yuanshi 元史, Ausg. 中華書局 :58 :1390) wurde Taiyuan im Jahre 1218 und Pingyang (Yuanshi 58 :1379) „zu Anfang der Yuan-Dynastie“ umbenannt. ↩
- Reisen des Venezianers 2,27 :356. ↩
- Das puch des edeln Ritters :15. ↩
- Das puch des edeln Ritters :85. Das Land Mangi ist das bis 1279 von der Song-Dynastie beherrschte und dann von Kublai Khan annektierte Südchina. Für die Mongolen war es Besatzungsgebiet, das sie von Cathaya, dem seit Jahrhunderten von zentralasiatischen Völkern dominierten Nordchina, unterschieden. ↩
- Herbert Franke, Die Mongolen in China, in Die Mongolen, Hg. Walter Heissig, Claudius C. Müller, Bd. 2 :58. ↩
- Reisen des Venezianers 2,68,8 :478. Zur Beamtenauswahl in der Yuan-Dynastie: Charles O. Hucker, A Dictionary of Official Titles in Imperial China, Stanford 1984 :67. Das System der Rotation funktionierte leidlich gut, wenngleich es, wie unter der Herrschaft des schurkischen Ministers Achmak (Achmed), gelegentlich zu Machtmissbrauch führte. Dieser mächtigste Mann nach dem Kaiser verschaffte den Vätern schöner Mädchen eine Beamtenstelle, damit sie ihm ihre Töchter zuführten. „Ist die Angelegenheit so weit geordnet, so geht Achmak zum Kaiser und benachrichtigt Se. Majestät, daß eine gewisse Stelle erledigt, oder daß die Zeit für welche sie besetzt, auf den und den Tag um sei, und empfiehlt den Vater als den zur Verrichtung der Pflichten geeigneten Mann.“ (Reisen des Venezianers 2,8 :294.) Auch diese Stellen wurden, wie Marco Polo vermerkt, auf drei Jahre vergeben. ↩
- Henry Yule, The Travels of Marco Polo, Bd. 1, 2. Buch, Kapitel 70. ↩
- Das puch des edeln Ritters :46. Der Name Zufficar kommt aus dem Arabischen: Dû-‚i-fagâr, vulg. Zuifigàr, Ursprünglich der Name eines Schwerts, das Mohamed einem arabischen Ungläubigen abgenommen und seinem Schwiegersohn Ali vermacht hat. Zufficar war ein Türke, der vermutlich aus den westlichen Siedlungsgebieten seines Volkes nach China gekommen war. Dazu: Paul Pelliot, Notes on Marco Polo, Bd. 1, Paris 1959 :610 (202). ↩
- Reisen des Venezianers 1,19 :114; über das Erdöl: 1,4, :65. ↩
- Reisen des Venezianers 1,23 :132. ↩
- Friedrich Hirth, China and the Roman Orient, Shanghai 1885 :200. Ruhmreiche Ritter trugen solch feuerfestes Gewebe. So war Parzivals Wappenrock am Berge Agremuntin, in des heißen Feuers Brand, von Salamandern gewirkt worden. „Der wâpenroc gap planken schîn, ime berge zAgremuntîn/ die würme salamander/ in worhten zein ander/ in dem heizen fiure.“ (Wolfram von Eschenbach, Parzival, Hg. Karl Lachmann, 5. Aufl., Berlin 1891 :15, 735, 23.) Auch der Reliquienkult bemächtigte sich der Materie. Ein Tartarenfürst habe dem Papst, so erzählt Marco Polo, eine aus Asbest gewebte Hülle geschenkt, in der einst das Schweißtuch des Gekreuzigten aufbewahrt worden wäre. Die chinesischen Texte berichten von einer aus Asbesttuch genähten Robe des Buddha, die, um das Jahr 460 herum, der König von Kaschgarien einem Kaiser der Späteren Wei geschenkt habe. Weishu (魏書,Ausg. 中華書局) Peking 1974, 102: 2268. Dazu Berthold Laufer, Sino-Iranica. Chinese Contributions to the History of Civilization in Ancient Iran, Chicago 1919 :498. ↩
- Berthold Laufer, Asbestos and Salamander. An Essay in Chinese and Hellenistic Folk-Lore, in ders. Sino-Tibetan Studies. Selected Papers on the Art, Folklore, History, Linguistics and Prehistory of Sciences in China and Tibet, Hg. Helmut Walravens, Bd. 1 :253 (333). ↩
- Derselbe Minister, der den Vätern, im Austausch gegen ihre schönen Töchter, Ämter anbot. ↩
- Yuanshi 6 :116 und 205 :4558. B. Laufer, Asbestos and Salamander.Sino-Tibetan Studies. Hg. Walravens, Bd. 1:285 (365). Wo der Berg Bieqiechi 別怯赤山 liegt, ist unklar. Vermutlich aber ist er in Ostturkestan (Xinjiang) am Rande des Altyn-Tagh-Gebirges (Altun Shan) zu suchen, wo heute in den Kreisen Charkliq (Ruoqiang) und Cherchen (Qiemo) riesige Asbestminen betrieben werden. ↩
- Reisen des Venezianers 2,38 :181f. ↩
- Marco Polo, The Description of the World, Hg. A. C. Moule und Paul Pelliot, Bd. 1, London 1938: 186. ↩
- B. Laufer, Asbestos and Salamander :245 (325). ↩
- Wie zäh sich der Aberglaube hielt, bezeugt der fränkische Schiffsarzt Johann Jocob Merklein, der auf einem holländischen Schiff 1645 nach Java gelangt war. Merklein beschreibt einen drastischen Tierversuch: „Etliche schreiben, der Salamander lebe im Feuer, welches wir aber nicht befinden können; dan wir derer etliche in ein grosses Feuer, so wir dabey hatten, geworffen, und befunden, daß sie zwar, soweit sie das Feuer berührten, dasselbe gelöschet; jedoch sie noch von den umliegenden Kohlen, wiewol langsam, verbrunnen.“ J. J. Merklein, Journal oder Beschreibung alles desjenigen/ was sich auf währender/ unserer neunjährigen Reise/ im Dienst der Vereinigten/ geoctroyrten/ Niederländischen/Ost-Indianischen Compagnie/ besonders in den selbigen Ländern täglich begeben/ und zugetragen, Nürnberg 1663; 2. Aufl. 1672; Nachdr. Den Haag 1930 :25. Auch in China hielt sich zu dieser Zeit noch die Ansicht, dass die weiße Ratte, aus deren Haar das Asbest gewebt wird, im Feuer lebt. ↩
- Das puch des edeln Ritters :11. ↩
- Die Salzvertriebsbehörde (yanyunsi 鹽運司 Kurzform, ofiziell: 都轉鹽運使司. (Hucker, Dictionary of Official Titles :581 /7966) die das staatliche Salzmonopol verwaltete, war im Jahr 758 gegründet worden, als die Tang-Kaiser sich nach der Rebellion des An Lushan neue Steuerquellen erschlossen. ↩
- So in Russland, wo die Goldene Horde vor allem Sarazenen, Juden und Chinesen als Steuereintreiber einsetzte. Valentin Gitermann, Geschichte Rußlands, Bd. 1, Frankfurt/Main 1965 :98. ↩
- Henry Yule, The Travels of Friar Odoric, in Cathay and the Way Thither, Bd.1, London 1866 :114. ↩
- Marco war nicht der erste europäische Reisende in China. Das mindert die historische Bedeutung seines Berichts nicht. Schopenhauer sagt dazu, dass „der Finder einer Sache nur Der ist, welcher sie, ihren Werth erkennend, aufhob und bewahrte; nicht aber Der, welcher sie zufällig ein Mal in die Hand nahm und wieder fallen ließ; oder, wie Kolumbus der Entdecker Amerika’s ist, nicht aber der erste Schiffbrüchige, den die Wellen ein Mal dort abwarfen.“ Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. 1 (1851) Zürch 1988 (Anmerkung nachgetragen, Juli 2015). ↩
- Peter Jackson und David Morgan, Hsg., The Mission of Friar William of Rubruck: His journey to the court of the Great Khan Möngke, 1253 – 1255, London 1990: 52. ↩
- Reisen des Venezianers 2,38 :387 f. ↩
- Dazu: Paul Ratchnevsky, Un code des Yuan, Bd. 4, Bibliothèque de l’Institut des hautes Etudes Chinoises, Paris 1937 :258 ff. und Herbert Franke, Geld und Wirtschaft unter der Mongolen-Herrschaft. Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der Yüan-Zeit, Leipzig 1949 :148 Anm. 3. ↩
- Reisen des Venezianers 2,39 :392. ↩
- Reisen des Venezianers 2,39 :393. ↩
- Auch Hangzhou war für das Salzmonopol bedeutend. Die Abgaben auf das Salz, rechnet er vor, summierten sich auf 6,4 Millionen Dukaten im Jahr. „Dieses ungeheure Ergebniß kommt daher, daß die Provinz am Meere liegt und in der Menge von Lagunen und Salzseen das Wasser, sich während der Sommerhitze krystallisirt.“ Reisen des Venezianers 2,69 :485. ↩
- Hucker, Dictionary of Official Titles :578 (7921). ↩
- Liguo, Limin, Haifeng, Foumin, Foucai, Haiying, Yanzhen, Fumin. Diese acht Namen erinnern noch an ein Unternehmen, das begonnen worden war, die Lage der verschiedenen Salzgärten und Salzbrunnen zu bestimmen, die Marco Polo auf seinen Reisen inspiziert haben muss. Ich glaubte als Erster herausgefunden zu haben, dass Marco Polo als Beamter beim Salzmonopol tätig war. Nachdem ich mich einige Zeit über meine großartige Entdeckung gefreut habe, bin ich auf einen Abschnitt in den Notes on Marco Polo (Bd. 2 :834) aufmerksam geworden. Paul Pelliot verweist auf die Bedeutung, die Marco Polo den Salinenorten zumisst: „From this fact, the inference may be drawn that Polo’s services with Qubilai (Kublai) were in all probability, for a great and perhaps for the greatest part, connected with the salt gabelle. And when Polo speaks of his three years‘ tenure of office at Yang-chou, I should not be surprised if his had been indeed an office in the salt administration.” ↩
- Reisen des Venezianers 2,50 :424. ↩
- Reisen des Venezianers 2,59 :442. ↩
- Yuanshi 205 :4568. ↩
- Das puch des edlen ritters :16. ↩
- Reisen des Venezianers 1,1,6 :49. ↩
- Der Bescheidenheit und Reinheit der chinesischen Jungfrauen generell hat Marco Polo (oder ein späterer Bearbeiter seines Berichts) eine Passage gewidmet, in der alle Tugenden eines Burgfräuleins aufgezählt werden. Es sind vor allem Dinge, die ein Fräulein nicht tut: Es tanzt und hüpft und albert nicht herum, zeigt sich nicht am Fenster, hört nicht auf eitles Geschwätz, besucht keine unziemlichen Festivitäten, starrt den Leuten nicht ins Gesicht und hält den Blick immer scheu zu Boden gerichtet. Marco Polo, Description of the world, Hg. Moule und Pelliot, Bd. 1: 304. Dabei geht es unterhalb der ritterlichen Ebene oft wenig verschämt zu. Von den Vätern, die ihre Töchter gegen eine Beamtenstellung an den mächtigsten kaiserlichen Minister verschachern, war schon die Rede. Über die Tibeter sagt er: „Diese Leute mögen keine Mädchen heiraten, so lange sie noch Jungfrauen sind.“ Die Mütter kämen zu den Zelten der Kaufleute, und eine jede „bittet die Fremden ihre Tochter zu nehmen und sich ihrer Gesellschaft zu freuen.“ (Reisen des Venezianers 2,37 :381). Von hässlichen Gewohnheiten berichtet er auch aus Yünnan. „Wenn Fremde ankommen, bemüht sich jeder Hausherr, einen von ihnen mit nach Hause zu nehmen und ihm alle Frauen seiner Familie zu übergeben, ihn als Herrn des Hauses zurückzulassen, denn er selbst zieht aus.“ (ebda. 2,37 :387). ↩
- Marco berichtet: Arghun schickte „drei von seinen Edlen, zuverlässige Männer, deren Namen Ulatai, Apusca und Goza waren, mit einer zahlreichen Begleitung als seine Gesandten an den großen Khan, und bat, daß er ihm eine Jungfrau zur Gemahlin geben möge aus der Verwandtschaft seiner verstorbenen Königin.“ (Reisen des Venezianers 1,1,6 :50 f.) Yang Chih-chiu und Ho Yung-chi verweisen (Harvard Journal of Asian Studies 9, 1945/47 :51) auf eine Stelle im (nur fragmentarisch überlieferten) Jingshi dadian 經世大典, wo es in einem Eintrag für das Jahr 1290 heißt: „Im dritten Monat dieses Jahres entsandte ein kaiserlicher Erlass Wuludai, Abishihe und Huozhe auf dem Weg über die Koromandelküste an den Hof des Großkönigs Aluhan.“ ↩
- Das puch des edlen ritters :16. ↩
- Reisen des Venezianers 1,1,6 :53. ↩
- Reisen des Venezianers 1,1,5 :57. ↩
- Henry Yule, The Travels of Marco Polo, Bd. 1, Marco Polo and his Book, Introductory Notices, I. Obscurities 2. ↩
- Das Salzmonopol blieb ziemlich unverändert erhalten, bis sich Ende des 19. Jahrhunderts die Kolonialmächte, die Steuerpfandrechte geltend machten, in die Verwaltung einmischten. Da wird aus Yünnan berichtet, der Yanfadao 鹽法道 genannte, leitende Beamte des Monopols in der Provinz bringe es im Jahr auf 40.000 Tael. Seine drei Unterbeamten, deren offizielles Gehalt 800 Tael betrug, konnten mit 14.000 bis 30.000 Tael im Jahr rechnen. S. A. M. Adshead, The Modernization of the Chinese Salt Administration, 1900-1920 :146. ↩
- Reisen des Venezianers 2,38 :387. ↩
- Das puch des edeln Ritters :71. ↩
- Reisen des Venezianers 2,38 :386. ↩
- Matthäusevangelium 9, 9-10 und Lukasevangelium 18, 10-13. ↩
- Reisen des Venezianers 2, 69 :486. ↩